- Wildwasser -
"Das Leben ist ein reißender Fluss, unberechenbar, gefährlich - in Todesangst kämpfe ich gegen seine Kraft, gegen den Sog, der mich in die Tiefe zu reißen droht. Die Anstrengung zu überleben, nimmt mir die Kraft, wirklich zu leben. Wie schön muss es sein, in ruhige Wellen einzutauchen, sich treiben zu lassen, auszuruhen."
...Gefühle einer Frau, die als Kind sexuelle Gewalt erfahren hat.
"Jeder Mensch hat das Recht, gewaltfrei zu leben."
Ursula van der Leyen
Alles fing so wunderschön an. Sie waren jung und sehr verliebt. Der Himmel war strahlend blau und kein Wölkchen trübte ihn. Jede Minute, die sie nicht zusammen waren, tat weh und war unendlich lang. Und dann kam der große Tag ihrer Traumhochzeit.
Alles war perfekt: die romantische, kleine Kirche, das weiße Traumkleid, ein großes Fest mit der Familie und Freunden.
Es gab die vielen Zukunftspläne: sich was schaffen - ein gemeinsames Haus, ein Auto, das Wunschkind.
Wie in jeder Beziehung war nicht jeder Tag nur Sonnenschein. Sie stritten, versöhnten sich und waren für alle Außenstehenden ein perfektes Paar. Mit der Zeit änderte er sich immer mehr. Sein Verhalten ihr gegenüber wurde aggressiver!
Erst war es nur der feste Griff an ihrem Oberarm, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. Dann warf er mit Gegenständen nach ihr, schubste sie. Beschimpfungen, wie "Du bist zu allem zu blöd!" oder "Halte endlich deine Klappe" gehörten bald zu ihrem Alltag.
In solchen Momenten war in seinen Augen nur noch Hass.
Egal, was sie tat, nie konnte sie es ihm recht machen. Eigentlich hätte sie ihn schon lang verlassen müssen, aber sie blieb! Ständig sagte sie sich, sie müsse es aushalten, wegen des Kindes, ihrem Zuhause, dem Haus, der Familie und den Nachbarn!
Wenn nach einem Streit wieder die trügerische Ruhe in Haus eingezogen war, versprach er ihr, sich zu ändern, er liebe sie doch und gemeinsam würden sie das alles schaffen!
An einem Sonntagabend passierte es dann zum ersten Mal. Er überschritt die bis dahin unsichtbare Grenze. Zwanghaft nach einem Grund suchend, bemängelte er lautstark das Abendessen. Als sie versuchte sich zu rechtfertigen, holte er aus. Sie konnte sich gerade noch wegdrehen. Seine Schläge trafen sie auf dem Rücken. Alles geschah vor den Augen des gemeinsamen Kindes, das ganz verängstigt, alles miterlebte. Sie stand da, fassungslos und mit einer großen Angst vor dem Mann, den sie aus Liebe geheiratet und mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte! Wie konnte es nur dazu kommen? Jetzt war Schluss!
Sie musste etwas tun, von allein würde sich ihr Leben nicht ändern! Heute, ein Jahr nach der Trennung, weiß sie, die Schläge auf den Rücken waren nur die Spitze des Eisberges. Blaue Flecken sind nach ein paar Tagen nicht mehr zu sehen. Ein verletzte Seele und ein gebrochenes Herz zu heilen, dauert aber viel, viel länger.